Neue Studien widerlegen Zahlen des Glücksspielatlas 2023 und heizen die Debatte erneut an.
Der Glücksspielatlas 2023, der alarmierende Zahlen zur Glücksspielsucht in Deutschland präsentiert, sorgt weiterhin für kontroverse Diskussionen. Experten werfen den Studienautoren methodische Mängel vor, während neue Erhebungen die hohe Anzahl an Betroffenen nicht bestätigen. Medien geraten ebenfalls in die Kritik für ihren unreflektierten Umgang mit den Ergebnissen.
Steigende Zahlen: Eine fragwürdige Entwicklung
Laut dem „Glücksspielatlas“ sind 1,3 Millionen Menschen in Deutschland von einer Glücksspielsucht betroffen, während weitere drei Millionen ein problematisches Spielverhalten zeigen.
Diese Zahlen wurden von zahlreichen Medien ohne gründliche Prüfung übernommen. Doch sie stehen im Widerspruch zu früheren Studien. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hatte im Jahr 2019 lediglich 200.000 pathologische Spieler ermittelt, was 0,34 Prozent der Bevölkerung entspricht.
Methodikwechsel als Streitpunkt
Ein wesentlicher Grund für die Unterschiede ist der Wechsel der Erhebungsmethodik. Bis 2019 wurden reine Telefonbefragungen durchgeführt, während die Universität Bremen und das Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD) inzwischen auf das sogenannte Mixed-Mode-Verfahren setzen, das Online- und Telefonbefragungen kombiniert. Zudem wurden die Fragebögen überarbeitet, was einen Vergleich der Daten erschwert.
Katharina Schüller, Statistikerin und Vorstandsmitglied der Deutschen Statistischen Gesellschaft, kritisiert diese Vorgehensweise scharf. In einem Gutachten beschreibt sie den Survey 2021 als „ungeeignet für evidenzbasierte Politik“ und zieht auch die Qualität der Ergebnisse des Surveys 2023 in Zweifel:
„Online-Stichproben liefern keine belastbare Grundlage für repräsentative Aussagen.“
Neue Studien: Kein signifikanter Anstieg
Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hat im Auftrag des Verbands der Automatenindustrie (VDAI) eine alternative Erhebung durchgeführt. Dabei wurden rund 11.500 Personen telefonisch befragt – basierend auf der Methodik der BZgA.
Die Ergebnisse zeigen, dass der Anteil problematischer Spieler bei 0,39 Prozent liegt und der Anteil pathologischer Spieler unverändert bei 0,34 Prozent verbleibt. Ein signifikanter Anstieg lässt sich nicht feststellen.
Ein Vergleichsexperiment der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) bestätigt ebenfalls die Vorbehalte gegen das Mixed-Mode-Verfahren. Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass reine Telefon- oder Face-to-Face-Befragungen weiterhin der „Goldstandard“ der Demoskopie seien.
Medien und Verantwortung
Die Initiative „Unstatistik des Monats“ hat die Berichterstattung über den „Glücksspielatlas“ als Beispiel für unkritischen Umgang mit Zahlen hervorgehoben. Reiner Burger, Kommunikationswissenschaftler und Autor der FAZ, kommentiert: „Die methodischen Schwächen der Studie wurden von den meisten Medien ignoriert.“ Diese Kritik unterstreicht die Bedeutung eines differenzierten Umgangs mit Statistiken.
Forderungen nach Transparenz
Der Deutsche Sportwettenverband (DSWV) begrüßt die zunehmende Hinterfragung von Studienergebnissen. Es sei essenziell, dass Datengrundlagen wissenschaftlichen Standards entsprechen, insbesondere wenn sie als Grundlage für politische Entscheidungen dienen sollen, erklärt ein Sprecher des Verbandes.
Initiativen wie die „Unstatistik des Monats“ trügen dazu bei, das Bewusstsein für die Bedeutung fundierter Methodik zu schärfen. Die Kontroverse um den Glücksspielatlas zeigt, wie wichtig ein kritischer und wissenschaftlich fundierter Umgang mit Daten für die öffentliche Debatte und politische Entscheidungsfindung ist.
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